Montag, 5. April 2010

2004



(Quelle: http://www.cbgnetwork.org/Ubersicht/Zeitschrift_SWB/SWB_2004/SWB_01_2004/Pestizide___Indien/pestizide___indien.html )

Die Spur des Giftes

BAYER-Pestizide im Baumwoll-Anbau

In schrottreifen indischen Fertigungsstätten lässt BAYER anderswo längst verbotene Pestizide herstellen. Die Baumwoll- FarmerInnen des Landes versprühen die Agrochemikalien in rauhen Mengen und verschaffen den Mitteln damit Eintritt in die gesamte Kette der Kleidungsproduktion. Die LandwirtInnen haben unter ihrer Wirkung dann genauso zu leiden wie die PflückerInnen und die WeiterverarbeiterInnen in den Kleider- Fabriken. Sogar die fertige Kleidung in den Geschäften von C&A, METRO oder H&M weist noch Chemie-Rückstände auf. Diese Spuren des Giftes hat der Film "100 Prozent Baumwolle - Made in India" von Inge Altemeier und Reinhard Hornung minutiös nachgezeichnet.

Von Axel Köhler-Schnura und Jan Pehrke

"Pestizide und Baumwoll-Anbau - das gehört für mich einfach zusammen. Wir setzen viele Pestizide ein, aber Monocrotophos ist nicht gefährlich. Da brauche ich mich nicht vor zu schützen", sagt der indische Kleinbauer Anand. Ohne Spezial-Kleidung versprüht er das BAYER- Produkt deshalb Tag für Tag und zusätzlich nach jedem Regen. Seine allabendliche Benommenheit, Übelkeit und lahme Zunge führt er nicht auf die Agro-Chemikalie zurück. Anand weiß nichts von der Gefährlichkeit der Substanz aus der Gruppe der Phosphorsäureester. Als Analphabet entgehen ihm die Warnhinweise auf den Behältern. Auch die Dosierungsvorschriften kennt der Landwirt nicht. Er richtet sich beim Gebrauch des Monocrotophos allein nach dem Schadinsekten- Aufkommen. Und das wächst beständig. Die Pflanzen sind enorm anfällig für Würmer und Insekten. So fordert die über Jahre gepflegte Monokultur ihren Tribut. Nirgendwo sonst auf der Welt werden so viele Pestizide ausgebracht wie im Baumwoll-Gürtel von Andhra Pradesh. Es gibt Heere von professionellen SprüherInnen auf den Feldern, die rund um die Uhr Tag für Tag - ohne jeden Schutz - sprühen und beim Nachfüllen ihrer auf den Rücken geschnallten Behälter regelrecht in den Giften baden. Mit verheerenden Folgen: In der Hauptsaison behandeln die MedizinerInnen des Bezirkskrankenhauses täglich bis zu 50 Vergiftungsfälle.

Noch dazu setzen sich viele der FarmerInnen in dem Glauben "Viel hilft viel" ganz umsonst einem solchen Gesundheitsrisiko aus, denn viel hilft es nicht. Die meisten Schad-Insekten und -Würmer sind nämlich längst immun gegen Monocrotophos. Etliche LandwirtInnen verloren deshalb ihre gesamte Ernte. 700 von ihnen haben sich im vergangenen Jahr umgebracht - "Sie tranken das Gift, das die Schädlinge nicht töten konnte" heißt es im Film.

Anand büßte zwei Drittel seiner Baumwoll-Erträge ein. Seit neuestem benutzt er deswegen noch zusätzlich BAYERs AVANT. Umgerechnet 70 Euro hat er dafür bezahlt. Da seine Baumwolle ihm durchschnittlich nur jährlich 100 Euro einbringt, hat er einen Teil seiner Ernte schon von vornherein an seinen Pestizid-Händler verpfänden müssen. Gerade mal zwei Säcke bleiben dem Bauern zum freien Verkauf auf dem Markt von Warangal noch übrig. Und in diesem Jahr bekommt er weniger als früher dafür. Die lange Dürre hat die Qualität beeinträchtigt. Zudem weitet sich der Anbau - nicht nur in Indien, sondern auch in Afrika - immer weiter aus, und diese Überproduktion drückt die Weltmarkt-Preise. Vor acht Jahren, als Anand ganz auf Baumwolle umstellte, war das noch nicht absehbar. Vom "weißen Gold" war damals viel die Rede, weil die Weltmarktpreise von Baumwolle weit über denen von Getreide oder Reis lagen. Aber das ist lange her.

Profitiert hat von dem Baumwoll-Boom nur einer: der den indischen Agrochemie-Markt zu 80 Prozent beherrschende Leverkusener Konzern. Er hat sich damit ein lukratives Absatz-Gebiet für seine in der Bundesrepublik und anderen Industrieländern aufgrund ihrer Gefährlichkeit längst verbotenen Alt-Pestizide erschlossen. Trotzdem stellt der zuständige BAYER/India-Manager, S. Venkata Pathi, das Unternehmen mit Unschuldsmiene zynisch als Getriebenen dar: "Der Markt zwingt uns dazu, weiterhin Monocrotophos, Finalphos und so weiter zu liefern. Die Nachfrage kommt von unseren Großhändlern. Das ist zwar eine Übergangslösung, denn wir produzieren sie nicht. Trotzdem müsssen wir uns nach dem Markt richten und unsere Händler beliefern".

BAYER produziert Monocrotophos & Co. nicht selber, BAYER lässt sie unter katastrophalen Bedingungen von Vertragsfirmen produzieren, womit der Leverkusener Chemie-Multi sich aus der direkten Verantwortung stehlen will. Schrottreife Anlagen in der Industrie-Region von Vapi dienen als Fertigungsstätten. Durch die offenen Verschläge, die rostiges Wellblech an den Seiten notdürftig vor Regen-Einfall schützt, pfeift der Wind. Vor den Fabriken türmen sich Berge von Sondermüll. Mit bloßem Auge ist nicht zu erkennen, welches Werk stillgelegt und welches noch in Betrieb ist. Sie sehen alle gleich gespenstisch aus. Ein Chemie- Park als Geister-Stadt - die Wahrheit über die Marketing-Lügen von weltweiter "Verantwortung und ökologischer Vorsorge" Sozusagen "Responsible Care" (ein mit Copyright versehenes internationales PR-Programm der Chemie-Multis) auf indisch. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass BAYER oder AVENTIS hierher kommen, weil es soviel billiger ist, hier zu produzieren. Und das ist so, weil sie ihre Abwässer nicht klären und die Abfälle nicht entsorgen müssen", empört sich Michael Mazgaonkar von der indischen Umweltschutz-Gruppe PSS. Ihre Schmutz-Fracht leiten die Firmen einfach in die kommunale Kläranlage. Deren Bau hat die Weltbank bezuschusst. Sie hat auch für die Anbindung Vapis an das Verkehrswege-Netz gesorgt. Schließlich müssen die Chemie-Antiquitäten ja so schnell wie möglich Anschluss an den Weltmarkt finden. Da Vapi ein rechtsfreier Raum ist, für den keinerlei Umweltschutz-Auflagen gelten, ist der halbe Landstrich verseucht. Chemie-Unfälle gehören zur Tagesordnung und gehen schon in die Kalkulation der Unternehmen ein. Wenn 's irgendwo knallt, beziehen die Firmen einfach den nächsten Schrott-Bau oder zimmern sich schnell etwas zusammen.

InteressentInnen für die chemischen Zeitbomben gibt es genug. Überall auf der Welt existieren arme Baumwoll-FarmerInnen, die sich die neueren, weniger toxischen Mittel nicht leisten können. Über LandwirtInnen wie Anand gelangen die Gifte dann in die gesamte Kette der Kleidungsproduktion. Zunächst schädigt er sich beim Ausbringen der Agro-Chemikalien selbst. Danach bringen die PflückerInnen ihre Gesundheit in Gefahr. Anschließend trifft die Wolle zur Weiterverarbeitung in der Kleider-Hochburg Tirupur ein, wo sich die Textil-ArbeiterInnen den Substanzen aussetzen. Dazu kommt für sie noch eine Extra-Portion Chemie durch das Bleichen und Färben. Viele Beschäftigte klagen deshalb über Schwindelanfälle, Übelkeit oder Lähmungserscheinungen. Aber nicht nur sie, der ganze Ort leidet unter der Chemikalien-Überdosis. Täglich fallen in der Fabrik Zehntausende Liter Abwässer an, die das Grundwasser verunreinigt und die Flüsse verseucht haben. Trinkwasser ist deshalb ein kostbares Gut. Tankwagen schaffen es von fern heran, und die Preise liegen hoch. "Das Wasser, das ich zum Kochen benutze, muss ich kaufen und es ist sehr teuer. Jetzt verbrauchen wir schon ein Drittel meines Lohnes einfach nur für Wasser", sagt eine Textil-Arbeiterin. Nur die Gesundheit stellt in Tirupur ein noch kostbareres Gut dar: Die durchschnittliche Lebenserwartung bewegt sich bei 35 Jahren.

Aber auch hier verliert sich die Spur der Pestizide noch nicht. In die Fasern der fertigen Kleidung eingedrungen, kehren sie in das Heimatland von BAYER zurück und landen in den Auslagen von C & A, Metro oder H & M. Für so manche/n KäuferIn erweisen sie sich dann aufgrund der allergie-auslösenden Wirkung der Chemikalien, die der Körper über die Haut aufnimmt, als untragbar, womit sich der Teufelskreis des Giftes schließt.

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