Preisexplosion bei Baumwolle
Das Ende der Billig-Jeans
Von Marc Pitzke, New York
Die USA gelten als das Land der Billig-Jeans, jetzt aber werden die Hosen immer teurer. Grund ist ein dramatischer Engpass beim Rohstoff Baumwolle - weltweit übersteigt die Nachfrage die Produktion. Spekulanten machen gute Geschäfte, zahlen müssen die Kunden.
Der Laden ist so schmal, wie ein Handtuch breit ist. Ein enger Tunnel nur, der von der Mercer Street in eine Art Zen-Tempel des Shoppings führt. Die Beleuchtung ist sanft und warm, der Fußboden ist ein Steinpfad, die Jeans hängen an Ästen.
45rpm, ein japanischer Trendshop im New Yorker In-Viertel Soho, ist eine Pilgerstätte für Jeans-Fanatiker. Der Denim-Stoff für die Hosen und Jacken ist handgewebt, handgefärbt und aus handgepflückter Baumwolle aus Simbabwe. Ein solches Status-Symbol hat freilich seinen Preis: Eine "Jomon Raw"-Jeans kostet 754 Dollar, eine "Sorahiko '08 O/W" ist für 333 Dollar zu haben.
Viele New Yorker begnügen sich lieber mit Jeans von Levis, Wrangler oder Gap, die nur einen Bruchteil kosten. Doch auch sie müssen bald mehr zahlen. Denn der Denim-Markt wird plötzlich von ähnlich wilden Kapriolen erschüttert wie die Börsen.
Der Grund: Denim ist ein Rohstoffprodukt. Und der Rohstoff - Baumwolle - ist den gleichen Preisfaktoren unterworfen wie Öl oder Zucker. Und genau das macht sich in diesen Tagen bemerkbar.
Dramatische Angebots- und Lieferengpässe haben Baumwolle enorm verteuert. Dem Einzelhandel wird bald nichts anderes übrig bleiben als nachzuziehen. "Denim-Liebhaber, macht euch darauf gefasst", titelte das britische Wirtschaftsmagazin "Managament Today", "Jeans-Preise dürften in die Höhe schnellen."
Jeans - ein Spekulationsobjekt wie Öl
Es ist ein Phänomen, das Verbraucher anderswo längst gewöhnt sind. Bei Kaffee, Mais oder anderen Rohstoffe halten sie Preisschwankungen fast schon für normal.
Aber Jeans? Denim, jener amerikanische Mythos, den selbst der französische Modeschöpfer Yves Saint-Laurent als "den spektakulärsten, praktischsten, lockersten und nonchalantesten" aller tragbaren Stoffe pries - auf einmal ein Spekulationsobjekt wie Öl?
Baumwolle wird an den Futures-Börsen gehandelt, etwa der ICE Futures Exchange in Atlanta, im traditionellen Baumwoll-Staat Georgia. Dort sind die Kurse für Baumwoll-Terminkontrakte bereits voriges Jahr um ein Drittel gestiegen, auf den höchsten Stand seit 15 Jahren. Und im ersten Quartal 2010 kletterte der "A-Index", ein vom National Cotton Council ermittelter Durchschnittswert der Baumwollpreise, um fast elf Prozent weiter, von 77,4 Cents auf 85,8 Cents pro Pfund.
Gründe für den Preisschub sind höhere Lohn- und Transportkosten, unberechenbares Wetter in wichtigen Baumwollregionen wie China, Handelskonflikte, ein vorübergehender Baumwollexportstopp Indiens und das übliche Maß an Spekulation. Auch sattelten manche Farmer während der Rezession, als die Nachfrage nach Bekleidung sank, auf andere Anbaupflanzen um, etwa Sojabohnen.
Das Angebot schrumpft, die Nachfrage steigt
In Pakistan, einem der weltgrößten Baumwollproduzenten, stecken die Spinnereien in "arger Not", wie die Analystenfirma FCStone warnt. Als Ursachen gelten Rekordpreise für Rohmaterial, versiegender Nachschub und Exportprobleme. "Ohne schnelle Hilfsmaßnahmen", schreibt FCStone, "wird es für den Großteil der Industrie schwer werden, diese Hindernisse zu überwinden."
Die US-Jeansbranche beobachtet dies mit Sorge. "Wir stehen vor einem sehr ernsten Problem", sagte Michael Jeffries, der Vorstandschef des Edel-Bekleidungskonzerns Abercrombie & Fitch, dem "Wall Street Journal". Die Ertragsspanne schmelze, vor allem für Nobelmarken wie A&F, die ohnehin unter Discount-Druck der Massenhersteller stehen.
Zugleich aber zieht die Nachfrage nach dem Ende der globalen Rezession wieder an. Das US-Landwirtschaftsministerium prognostiziert, dass der Baumwollbedarf für die Saison 2010/11 weltweit um fast drei Prozent steigen werde - die Ernteerträge könnten da nicht mithalten. Im Gegenteil: Die Ernte 2010/11 drohe, die mickrigste seit dem mageren Jahr 1995/96 zu werden. Die Konsequenz: die Preise steigen noch weiter.
"Die Nachfrage wird das Angebot das fünfte Jahr in Folge übersteigen", prophezeite auch Gary Raines in der "Financial Times". Er ist Experte für Baumwoll-Futures und twittert täglich über die eskalierende Situation.
Heftiger Handelsstreit mit Brasilien
Mit ihren Mega-Plantagen im Südosten, in Texas und in Kalifornien sind die USA bei Baumwolle zwar weniger vom Ausland abhängig als bei anderen Rohstoffen: Die Vereinigten Staaten bleiben das Exportland Nummer eins vor Indien, Usbekistan, Brasilien und Pakistan. Trotzdem leiden die großen US-Jeanshersteller - beispielsweise Levis, Diesel, Lee, Wrangler und Calvin Klein - unter dem weltweiten Preisauftrieb. Schließlich wollen die US-Baumwollproduzenten ihre Ware nicht günstiger abgeben, wenn sie auf dem Weltmarkt hohe Preise verlangen können.
Hinzu kommt, dass die USA seit Jahren in einen scharfen Handelsstreit mit Brasilien verwickelt sind. Das südamerikanische Land kritisiert die Subventionen Washingtons für die Baumwollbranche und droht seinerseits mit Schutzzöllen. Die Welthandelsorganisation WTO hat Brasilien bereits Recht gegeben - zum ersten Mal wurden die USA für Agrarsubventionen bestraft.
Im April erklärte sich die US-Regierung daraufhin bereit, einen 147-Millionen-Dollar-Fonds für ausländische Baumwollfarmer einzurichten - aus Steuergeldern. "Die US-Baumwollfarmer haben 2009 fast 2,3 Milliarden Dollar an staatlichen Subventionen erhalten", schimpfte das "Wall Street Journal". "Nun schickt sich Uncle Sam an, die Steuerzahler erneut zur Kasse zu bitten."
Vor allem aber trifft es die Jeans-Fans. Denn die Unternehmen wälzen das Problem einfach auf ihre Kunden ab. Branchen-Insider berichten, dass die Denim-Großhändler ihre Preise seit April erneut um bis zu 15 Prozent hochgeschraubt haben. "Es wird Preissteigerungen geben", sagte Maurice Reznik, der Chef des ebenfalls betroffenen Dessoushauses Maidenform, dem "Journal". Schon jetzt werden Jeans-Sonderangebote selten.
Selbst 45rpm, der japanische Luxusschneider mit der Dependance in Soho, könnte in den Strudel geraten. Denn auch im Ursprungsland seiner Baumwolle kriselt es: In Simbabwe streiken die Baumwollfarmer, um bessere Preise zu erzwingen.
Quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,696579,00.html
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